Geschichte

Der Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.) vertritt die Interessen von stationären, ganztägig ambulanten und ambulanten Einrichtungen des Suchthilfesystems. Unter dem Dach des bus. sind heute rund 150 stationäre und ganztägig ambulante Einrichtungen mit ca. 6.000 Plätzen zur Behandlung und Betreuung von Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung zusammengeschlossen. Seit März 2022 können dem bus. auch ambulante Einrichtungen der Suchthilfe beitreten.

Im Folgenden wird die Geschickte des Verbandes vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen skizziert. Die Daten sind den unten genannten Publikationen entnommen, die auch in der Geschäftsstelle bestellt werden können.

Gründung

Der Verband wird am 20. Oktober 1903 in Berlin als Verband von Trinkerheilstätten des deutschen Sprachgebiets gegründet. Der 1. Vorsitzende ist Oberregierungsrat Falch, Pastor Kruse ist Schrift- und Kassenführer.

Was heute das Herzstück der Verbandsarbeit ist, wurde damals schon klar formuliert. Die „Ur-Fassung“ der Satzung nennt als Zwecke des Verbandes:

  • Verbindung und Kontakt der „Trinkerheilstätten“ untereinander
  • Austausch über fachliche Fragen zum Anstaltsbetrieb und Entwickeln einheitlicher Regelungen
  • Interessensvertretung gegenüber Behörden und Öffentlichkeit
  • Entwicklung einer Verbandsstatistik
  • Anregung und Förderung für das Arbeitsgebiet

Um diese Ziele zu erreichen, ist es Aufgabe des Verbandes, Versammlungen zu organisieren und Veröffentlichungen zu erstellen. Die Finanzierung erfolgt über Mitgliederbeiträge und freiwillige Zuwendungen.

Anfang des 20. Jahrhunderts

Anfang des 20. Jahrhunderts werden alkoholabhängige Menschen in so genannten Heilstätten untergebracht und behandelt. Die Heilstätten sind der Tradition der christlichen Sozialbewegung entwachsen (genannt seien hier Johann Hinrich Wichern, Friedrich von Bodelschwingh und Adolph Kolping). Es beginnt der Übergang vom moralischen Verstehensmodell der Sucht zum wissenschaftlich fundierten Krankheitsmodell. Als einflussreiche Faktoren bei der Entstehung von Sucht werden die sozialen Gegebenheiten in den Blick genommen.

Schon in den Heilstätten ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit vorgezeichnet. Besteht das Führungsteam einer Entwöhnungseinrichtung heute aus Ärzt:in, Psycholog:in und Sozialarbeiter:in, so setzt es sich damals aus Arzt, Pfarrer (als Experte für seelische Probleme) und Hausinspektor (als Experte für lebenspraktische Fragen) zusammen.

Der Verband kämpft um bessere Rahmenbedingungen für die Einrichtungen und fordert Gesetze, in denen Hilfen für Suchtkranke sichergestellt werden. Ambulante und stationäre Maßnahmen stehen sich getrennt gegenüber, Trinkerfürsorgestellen sind oft Konkurrenz.

Vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkrieges leeren sich die Einrichtungen. Mitarbeiter und Patienten werden als Soldaten eingezogen, die Heilstätten als Lazarette genutzt. In den 1920er Jahren nimmt das Alkoholproblem zu. In den Heilstätten stabilisiert sich die wirtschaftliche Situation etwas, die Kostenregelung bleibt aber weiter ungeklärt.

Der Schwarze Freitag (Zusammenbruch der New Yorker Börse am 24. Oktober 1929, Europa: 25. Oktober 1929) markiert den Beginn jahrelanger weltweiter Rezession mit sozialer Verelendung. Die Situation der Heilstätten ist Anfang der 1930er Jahre von wirtschaftlicher Not gekennzeichnet, sie sind schlecht belegt und unterfinanziert.

1933 übernimmt Pastor Martin Müller die Geschäftsführung von Pastor Kruse. Vorsitzender ist Landesrat Dr. Maximilian Kraß.

Von Hitlers Machtergreifung und seiner Politik verspricht man sich eine positive Wende für die Einrichtungen. Der Verband wird aufgefordert, sich in einen Zusammenschluss aller alkoholgegnerischen Verbände unter Führung der NSDAP einzureihen. Der Aufforderung kommt er nach.

Ab etwa 1937 ist eine deutliche Distanzierung der Heilstätten von der NS-Politik zu verzeichnen. Während noch 1933 erklärt wird, dass „unheilbare Alkoholiker“, nach Nazi-Ideologie Volksschädigende, nicht in Heilstätten gehören, werden gerade solche Menschen vermehrt aufgenommen, um sie dem staatlichen Zugriff zu entziehen.

Im 2. Weltkrieg müssen viele Heilstätten ihren Betrieb einstellen, werden als Lazarett, Altersheim oder zur Unterbringung von Rückwanderern genutzt. 1940 ändert der Verband seinen Namen in Verband deutscher Trinkerheilstätten. 1944 kommt die Verbandsarbeit völlig zum Erliegen.

Die Zeit nach 1945 ist wie überall in Deutschland auch in den Heilstätten durch den Wiederaufbau geprägt. 1947 formiert sich der Heilstättenverband neu, sieben Einrichtungen sind in Betrieb.

50er Jahre

Der Alkoholverbrauch steigt mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. 1955 liegt er schon bei 5,2 Litern pro Person, die Einrichtungen füllen sich.

1958 wird Ernst Knischewski Geschäftsführer des Verbandes.

60er Jahre

Der Konsum illegaler Drogen nimmt zu. Es werden „Therapeutische Gemeinschaften“ für Drogenabhängige gegründet. Inzwischen trinkt jeder Bundesbürger im Durchschnitt 10 Liter Reinalkohol im Jahr. Die Sozialversicherung übernimmt die Behandlungskosten.

Das Jahr 1968 markiert einen wichtigen Meilenstein in der Suchtbehandlung: Auf maßgebliches Betreiben von Ernst Knischewski und Prof. Dr. Otto Ernst Krasney wird mit Beschluss des Bundessozialgerichts in Kassel vom 18.6.1968 Sucht als Krankheit anerkannt. Ernst Knieschewski und Prof. Krasney haben für das laufende sozialgerichtliche Verfahren bestehende Urteile und juristische Gutachten gesammelt und damit anhaltende Argumentationshilfe geleistet.

70er Jahre

Mit der Anerkennung von Sucht als Krankheit formiert sich die Suchtkrankenhilfe in Deutschland neu. Die in Aussicht gestellte geregelte Finanzierung der stationären Entwöhnung führt zur Gründung vieler neuer Fachkliniken für Alkoholkranke und „Therapeutischer Gemeinschaften“ zur Behandlung Drogenabhängiger. Auch viele Einrichtungen in privater Trägerschaft entstehen.

Moderne Kliniken brauchen einen modernen Verband, der Begriff Heilstätte wird aufgegeben. Am 17.5.1974 beschließt die Mitgliederversammlung eine Namensänderung des Verbandes. Er heißt jetzt Verband der Fachkrankenhäuser für Suchtkranke. Damit wird auch eine Aufwertung der Entwöhnungskliniken in Richtung Akutkrankenhaus angestrebt. 1976 wird Dr. Eberhard Rieth Vorsitzender des Verbandes.

1978 macht die Empfehlungsvereinbarung Sucht klare Vorgaben zur Zuständigkeit für die Behandlung von Abhängigkeitskranken, definiert aber auch ein klinisches Behandlungsprofil und dient damit der Vereinheitlichung therapeutischer Standards bei aller nötigen Vielfalt. Außerdem wird der interdisziplinäre Ansatz betont, indem z. B. die Zusammensetzung des Leitungsteams beschrieben wird.

In den Einrichtungen beschäftigt man sich verstärkt mit der beruflichen Qualifikation und therapeutischen Ausbildung der Mitarbeiter:innen. Auch im Verband ist die Weiterbildung ein Schwerpunktthema. Es wird lebhaft über die verschiedenen wissenschaftlich begründeten Methoden der Psychotherapie diskutiert.

Der Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der EKD (GVS), dessen Geschäftsführer ebenfalls Ernst Knischewski ist, entwickelt unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Annelise Heigl-Evers ein von den Leistungsträgern anerkanntes Weiterbildungsprogramm auf psychoanalytischer Grundlage und unter Mitwirkung des IFT München ein Programm auf verhaltenstherapeutischer Grundlage. Dies sind die Vorläufer der heute etablierten und für die Ausbildung von Fachkräften in der Behandlung Abhängigkeitskranker essenziellen Weiterbildung zur / zum Suchttherapeut:in.

Um selbst Qualitätsstandards setzen und nachhalten zu können, wird ab 1978 im Verband der so genannte Beratungs- und Besuchsdienst eingerichtet.

80er Jahre

Der Beratungs- und Besuchsdienst entwickelt sich zu einem bedeutsamen Instrument der einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung. Die Mitgliedskliniken überprüfen mit Hilfe eines Peer-Verfahrens wechselseitig die Einhaltung von Qualitätsstandards, die als Konsens im Verband gelten.

1985 wird Wolfram Schuler Geschäftsführer.

1988 wird Dr. Reinhold Aßfalg Vorsitzender.

Wiedervereinigung und 90er Jahre

Der Fall der Berliner Mauer und die folgende Wiedervereinigung von Ost- und West-deutschland öffnet den Verband der Fachkrankenhäuser nach Osten. Die neuen Mitgliedseinrichtungen bringen ihre Erfahrungen mit dem ostdeutschen Versorgungssystem in den fachlichen Diskurs ein. Der Vergleich ost- und westdeutscher Behandlungsansätze und Versorgungsstrukturen, die Auseinandersetzung mit den Konzepten der Sozialpsychiatrie und der Ausbau der Kooperationsbeziehungen zu den Leistungsträgern sind wichtige Themen der Verbandsarbeit.

1994 beschließt die Mitgliederversammlung, den Verband für akutmedizinische und komplementäre Versorgungsbereiche zu öffnen. Diese Öffnung wird in die Satzung aufgenommen und findet ihren Ausdruck in der Umbenennung des Verbandes in Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. (buss).

Der Beratungs- und Besuchsdienst wird eingestellt. Die Rentenversicherung führt 1994 das 5-Punkte-Programm zur Qualitätssicherung ein.

Durch das Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (WFG), das 1997 in Kraft tritt, müssen Kostenreduzierungen durchgesetzt werden, die einerseits verheerend wirken, andererseits Ressourcen mobilisieren. Der Verband setzt auf kooperative Bewältigungsstrategien und darauf, Politik und Öffentlichkeit von der volkswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit und Effizienz der Suchtkrankenbehandlung zu überzeugen.

Dr. Martin Beutel wird Vorsitzender.

2000 – Die „Nullerjahre“

Im Jahr 2000 – lange vor Einführung der Zertifizierungspflicht für Entwöhnungskliniken im Jahr 2012 – gründet der buss auf Betreiben des damaligen Vorsitzenden Dr. Martin Beutel die Deutsche Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Suchttherapie e. V. (deQus) und stellt den Kliniken damit ein suchtspezifisches Qualitätsmanagementsystem zur Verfügung.

Der Verband entwickelt ein Leitbild, welches 2002 verabschiedet wird.

Die Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“ vom 4.5.2001 löst die alte Empfehlungsvereinbarung Sucht von 1978 ab. Zur gleichen Zeit wird das SGB IX kodifiziert. Rehabilitation wird deutlich aufgewertet.

2003 feiert der Verband sein 100-jähriges Bestehen, 2014 findet in Berlin die 100. Jahrestagung statt.

2005 wird Dr. Andreas Koch Geschäftsführer.

2007 erbt der Verband den Nachlass des Projektes „Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland“ von Professor Wolfram Keup. Seit 2010 wird aus diesem Nachlass alle zwei Jahre der Wolfram-Keup-Förderpreis für die beste wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit auf dem Gebiet der Suchttherapie öffentlich ausgeschrieben und vergeben.

Ab 2010

Im März 2014 findet in Berlin die 100. Jahrestagung statt.

Ab Januar 2015 gibt der Verband gemeinsam mit dem Deutschen Orden die Online-Zeitschrift KONTUREN online. Fachportal zu Sucht und sozialen Fragen heraus. Später kommt als weiterer Mitherausgeber die Fachklinik Haus Immanuel dazu. Unter www.konturen.de informiert KONTUREN online frei zugänglich über aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Suchttherapie, Suchtforschung, Beratung, Prävention, Medizin, Management, Leistungsrecht und Sozialpolitik. Die Idee zu einer Fachzeitschrift im Online-Format geht von Dr. Martin Beutel aus.

2015 scheidet Dr. Beutel aus Altersgründen aus seinem Amt aus. Dr. Wibke Voigt wird Vorstandsvorsitzende.

2018 beendet Prof. Dr. Andreas Koch seine Geschäftsführertätigkeit beim buss. Auf ihn folgt Gero Skowronek.  

2020 verlässt Gero Skowronek den buss. Seit 1.1.2021 ist Corinna Mäder-Linke Geschäftsführerin.

2021 übernimmt der Verband die Weiterbildung zur / zum Suchttherapeut:in vom Gesamtverband für Suchthilfe e. V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland und gründet die Deutsche Gesellschaft für Weiterbildung in der Suchttherapie gGmbH (DGWS).

Am 30.9.2021 beschließt die Mitgliederversammlung, den Verband für ambulante Einrichtungen zu öffnen. Es folgt die Namensänderung in Bundesverband Suchthilfe e. V. (bus.).

Seit März 2022 nimmt der Verband auch ambulante Einrichtungen der Suchthilfe auf und vertritt nun zusätzlich die Interessen der Ambulanten Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen (ARS) sowie auf Bundesebene die Interessen der Suchtberatung. Damit repräsentiert der bus. das Suchthilfesystem in seiner ganzen Breite. Auf dieser Basis kann eine der wichtigsten Aufgaben des Verbandes gut gelingen: die weitere Vernetzung der einzelnen Bereiche im komplexen Versorgungssystem zur Gewährleistung einer individuell heilsamen und erfolgreichen Behandlung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen.

Detaillierte Informationen zur Geschichte des Verbandes bieten die zum 100-jährigen Bestehen erschienene Chronik (bis 2003) und die Festschrift:

  • „Von der Bekämpfung des Lasters zur Behandlung des Kranken. 100 Jahre Arbeit mit Suchtkranken. Eine Chronik“, von Reinhold Aßfalg
  • „Festschrift zur 100-Jahr-Feier Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. 1903–2003“, hrsg. v. buss e. V.

Beide Publikationen können unter bundesverband@suchthilfe.de